DPSG hilft
Am Donnerstag den 24. Februar startete Russland seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Vier Tage später saßen wir abends in zwei vollgepackten Kleinbussen Richtung polnisch-ukrainische Grenze. Aber jetzt alles nochmal der Reihe nach…
Eigentlich muss man noch ein bisschen weiter ausholen. 2014 und 2015 war Fredy, unser StaVo, in der Ukraine und lernte dort Pfadfinder kennen. Aus mehreren Treffen in den darauffolgenden Jahren wurde eine gute Freundschaft. Bereits seit Beginn des russischen Angriffs stand er in Kontakt mit Pfadfinder*innen aus Kiew, die ihm immer wieder berichteten was vor Ort vor sich ging. Als diese schrieben, dass sie Medikamente und anderes medizinisches Material benötigten, beschlossen er und ein weiterer Leiter, Felix, dass es keinen Grund mehr gab abzuwarten. Es war an der Zeit, selbst aktiv zu werden.
Nachdem der Kreisjugendring Nürnberg Stadt zugesagt hatte, seinen 9-Sitzer-Bus kostenlos zur Verfügung zu stellen, starteten wir am Montagmittag einen Spendenaufruf. Zwischen dessen Veröffentlichung um 12 Uhr bis zu unserem Annahmestop um 20 Uhr kamen dank der großartigen Unterstützung der Leiter*innenrunde, anderer Pfadfinder und Stämme, des BDKJ und vieler Engagierter aus Pfarrei und Stadtteil zahlreiche Hilfsgüter zusammen. Vom Benzinkanister, über Lebensmittel und Kleidung bis hin zu den dringend benötigten Medikamenten.
Besonderer Dank gilt hier auch den Nürnberger Apotheken, die sich an vielen Stellen sehr großzügig bei der Bereitstellung von Medikamenten zeigten. Wegen der schieren Menge an Hilfsgütern beschlossen wir kurzerhand noch zusätzlich einen Sprinter anzumieten, für den sich unser Biggi und Andi aus Tennenlohe, spontan als Fahrer bereit erklärten. Von Entschluss bis Abfahrt waren keine 24 Stunden vergangen. Und so waren wir also Abends um 22 Uhr auf dem Weg in Richtung Polen.
Gegen 6 Uhr morgens erreichten wir die polnische Stadt Katowice. Nachdem es schwierig ist, um diese Uhrzeit eine Bleibe zu finden und es im Auto zu kalt zum Schlafen gewesen wäre, fanden wir in der Nähe eine Feuerwehr-Station, die uns Unterschlupf gewährte.
Nach ein paar Stunden Schlaf, brachen wir vormittags erneut auf.
Da es sich bei einigen der Hilfsgüter um eher sperrige Gegenstände handelte (Kleidung, Konserven), die wohl nicht in die Ukraine transportiert würden, entluden wir diese in Katowice aus dem Sprinter und übergaben sie dort den lokalen Behörden. Von dort aus sollten diese dann innerhalb Polens an Flüchtlinge verteilt werden. Der Sprinter war somit leer und fuhr mit Andi und Felix zurück nach Nürnberg, wo sie noch am selben Abend ankommen sollten.
Biggi und Fredy fuhren mit dem mit Medikamenten, Treibstoff und Wasserflaschen im 9-Sitzer weiter Richtung Krakau. Dort wurde noch einmal aufgetankt, denn von anderen Helfer*innen hatten wir schon gehört, dass es östlich der Stadt keinen Diesel mehr gebe. Was sich dann auch als richtig herausstellte.
Schon während der Fahrt standen wir immer wieder in Kontakt mit Fredys ukrainischen Freunden in Kiew. Nachdem wir selbst nicht über die Grenze fahren würden, war es wichtig herauszufinden, wem wir unser Hilfslieferung an der Grenze übergeben könnten, damit diese auch sicher ihren Weg nach Kiew finden würde. Nach vielem hin und her wurde uns dann mitgeteilt, dass es an dem Grenzübergang hinter Krakau, auf den wir die letzten Stunden zu gefahren waren und den wir fast erreicht hatten, keine Möglichkeit zu einem sicheren Weitertransport geben würde. Die Übergabe sollte viel mehr im knapp 200 km nördlich gelegenen Dorohusk stattfinden.
Über Landstraßen entlang der Grenze ging es also weiter in Richtung Norden. Langsam wurde es Abend und die Straßen mit jeder Minute dunkler, während die Anzahl der Schlaglöcher immer weiter anzusteigen schien.
In Dorohusk angekommen suchten wir unseren Kontakt für die Übergabe der Hilfsgüter. Nach einer Stunde des Suchens und einem etwas unangenehmen Gespräch mit der Grenzpolizei „was wir hier machen und suchen würden“, stellte sich heraus, dass wir eine falsche Adresse erhalten hatten. So fuhren wir 20 weitere Minuten, bis wir eine Speditionshalle erreichten.
Dort wurden wir freundlich von einer Ukrainerin begrüßt, die die Transporte in ihre Heimat organisierte. Als sie uns etwas zu Essen anbot, fiel uns auf, dass wir seit dem Morgen nichts mehr gegessen hatten. Nach einer kurzen Stärkung fuhren wir dann mit unserem Fahrzeug in die Halle und luden mit der tatkräftigen Unterstützung einiger Polen und Ukrainer unsere Hilfsgüter auf Paletten um, damit diese mit dem nächsten Transport die Grenze überqueren.
Nach dem Verladen war es Zeit den weiteren Verlauf unserer Reise zu planen. Den wichtigsten Auftrag, die Medikamente zu übergeben, hatten wir erfüllt. Doch jetzt einfach mit einem leeren Auto zurück nach Nürnberg zu fahren wäre Verschwendung gewesen.
Wir entschieden also an die Grenze zur Erstaufnahme-Station zu fahren. Als wir dort um ca. 22:30 ankamen stellten sich heraus, dass es niemanden gab, der in unsere Richtung musste. In Anbetracht der fortgeschrittenen Uhrzeit nahmen wir uns ein Zimmer in einem Motel, um unser Glück noch einmal an nächsten Morgen zu probieren.
Als wir morgens um 9 Uhr wieder an der Erstaufnahme-Station ankamen, waren bereits neue Flüchtlinge dort aufgenommen worden. So kam es dazu, dass wir - nach einigen Formalitäten mit der Grenzpolizei - eine Stunde später zusammen mit einer Familie (Mutter mit ihren Kindern, zwei Jungs ca. 10 und 6 Jahre alt sowie ein Säugling) und einer junge Frau, namens Victoria, wieder Richtung Westen fuhren. Die Kommunikation mit unseren Gästen gestaltete sich als sehr kompliziert, da diese kein Wort Englisch konnten und wir kein Russisch. Doch der Google-Übersetzer ermöglichte uns zumindest eine rudimentäre Kommunikation. Außerdem hatten wir vorab von den Helfern an der Grenze erfahren wer wohin musste: Die junge Frau sollten wir nach Warschau bringen, damit sie von dort mit dem Zug zu einer Verwandten nach Prag fahren konnte. Die Familie musste in die Nähe von Posen, wo sie bei Bekannten Unterschlupf finden sollten.
Nach wenigen Stunden Fahrt waren wir in Warschau. Dort angekommen machten wir erst einmal zusammen Mittag und versuchten ein Zugticket für Victoria zu bekommen. Der Bahnhof war allerdings vollkommen überfüllt und alle Züge in Richtung Prag waren ausgebucht. So beschlossen wir, Victoria in die Tschechische Hauptstadt zu fahren. Doch zuerst mussten wir die Familie nach Posen bringen. Und so machten uns also wieder auf den Weg und brachten, die Familie, die uns während der Fahrt auf einer Karte zeigten, dass sie aus Riwne kamen, zu ihren Bekannten.
Nach einer kurzen Verabschiedung ging es wieder auf die Straße: nächstes Ziel Prag. Doch wohin in Prag sollten wir eigentlich genau fahren? Zum Glück sprach Victorias Schwägerin Englisch und telefonierte mit uns. Nachdem wir ihr mehrfach versichert hatten, dass wir weder Zuhälter noch Menschenhändler waren, sondern nur 2 verrückte Pfadfinder, die helfen wollten und deswegen quer durch Europa fuhren, nannte sie uns dann ihre Adresse, auch wenn ihr die ganze Sache nicht wirklich geheuer zu sein schien.
Umso glücklicher war sie dann, als wir Victoria wohlbehalten abends um 23 Uhr bei ihr ablieferten. Sie erzählte uns noch, dass Victoria aus Dniepro geflohen und anscheinend schon länger unterwegs war. Für mehr Gespräche war wenig Zeit, wir mussten ja noch nach Nürnberg…
Und so endete unsere Fahrt nach ca. 52 Stunden und über 2500 Kilometern nachts um 2 in Nürnberg, wo wir müde, aber glücklich darüber, etwas getan zu haben, in unsere Betten fielen.
Uns bleibt an dieser Stelle nur noch einmal danke zu sagen: An alle die Sachspenden vorbeigebracht haben, die Geld gespendet oder uns auf einem anderen Weg unterstützt haben! Wir sind immer noch überwältigt von dem großen und schnellen Engagement so vieler Leute, die diese Fahrt erst möglich gemacht hat!